31. Dezember 2015

Über das Bücherwissen

Ist Bücherwissen notwendig und wichtig für unsere spirituelle Entwicklung?

   Entwicklung. Vergrößerung des Horizontes. Erweiterung. Vielleicht, wenn man so will, eine "wohlgerundete" Ausdehnung. Bücherwissen vergrößert die Datenbank des traditionellen Wissens, wie es die gegenwärtige Gesellschaft kennt. Das Bücherwissen legt offen, was entdeckt worden ist; deshalb ist dieses Unternehmen eine Form von Enthüllung.
   Der Kernpunkt dieser Thematik ist "spirituelle" Entwicklung; darum könnte jede Art von Buchwissen bezüglich dieses Themas mit Spiritualität in Verbindung gebracht werden. Bücher dieser Kategorie würden das Studium der Weltreligionen, das gesamte Gebiet der Philosophie, kanonische und gnostische Schriften, Metaphysik und die Physikwissenschaften beinhalten. Man kann keine fundierte Datenbasis des traditionellen, geistigen Wissens haben, ohne zuerst ein sicheres Verständnis des Themas in seiner Gesamtheit zu erlangen. Wenn diese Forschungsarbeit vollbracht worden ist, dann passiert etwas. Das Forschen, Studieren und Lesen wird plötzlich zu einer Schachtel, einer Falle, in die der Geist eingesperrt wird. Diese Schachtel hat einen Namen ... Konzeptualisierung. Je mehr man liest und das Studierte überdenkt, umso mehr erkennt man, dass das traditionelle Wissen starr von geformten Begriffen ist. Je mehr Begriffe man erkennt, umso mehr fühlt man sich von ihnen eingeengt. Je eingeengter man ist, desto größer der Drang, sich aus  dem bindenden herkömmlichen Wissen zu befreien und ins Jenseits zu greifen, das mit dem leuchtenden Versprechen reicher Verfeinerung des Wissen lockt, das nicht als starre Begriffe daherkommt, sondern als ein sanftes und sicheres Wissen. Dies also ist der Wert des Buchwissens. Es stattet uns mit einer notwendigen Grundlage aus für das,was uns jenseits des althergebrachten erwartet. Das Buchwissen,wenn es bis zum vollen Umfang genutzt wird, wirkt wie ein natürlicher Anstoß, um über das, was überliefert worden ist, hinauszuschauen. Buchwissen liefert uns einen Absprungspunkt vom Linearen zum Nichtlinearen, von der Form zum Formlosen, vom Bekannten zum Möglichen. Es führt uns entlang der Zaunreihen der überlieferten begrifflichen Beschränkungen hin zum Tor, auf dem steht: Dahinter gibt es noch mehr. Und an diesem Punkt lassen wir die verstaubten Auffassungen des tradierten Wissens hinter uns und schreiten durch das Tor, einer größeren Erkenntnis entgegen. Diese Erkenntnis ist nicht geformt. Sie hat keine Form. Sie hat keinen Namen oder Sektiererbezeichnung, die sie definiert oder einengt. Diese Erkenntnis kann von keiner Religion besessen, von keiner Volksgruppe oder Person als Eigentum beansprucht werden. Sie kann nicht benannt, nicht definiert, nicht besessen werden. Sie ist das, was im Innern des Universellen Geistes ist. Sie ist das, womit sich unser Geist verbindet, wenn wir uns über das herkömmliche, in Begriffe gekleidete Wissen der Menschheit hinaus erheben. Sie ist das Wissen.  
   Das Wissen erkennt man an seiner Klarheit und Einfachheit, die so wunderschön ist, dass man sie mit keinen Worten niederschreiben, mit keinen Bildern beschreiben kann. Das Wissen kommt als leuchtende Explosionen der Inspiration, als herzklopfende Offenbarungen und als Wellen warmen Gefühls. Es kommt nicht als "Worte", sondern als plötzliche Vision, die die Realität in all ihrer herrlichen Erhabenheit darstellt. In diesem Moment wird die Bücherweisheit so vereinfachend, so banal.
   Spirituelle Entwicklung leitet sich ab von der Erweiterung und Vermischung der Geistes- und Verhaltensfacetten des Ichs. Der Verhaltensaspekt ist das, was die geistige Entwicklung des Intellekts reflektiert. All das überlieferte Buchwissen und Studieren biblischer Schriften wird keine geistige Entwicklung, wie sie in der Gesellschaft erkennbar sein sollte, bewirken, wenn nicht das spirituelle Verhalten erfahrungsmäßig mit dem Weg in Einklang gebracht wird.
   Diese Wahrheit wird augenscheinlich, wenn man Pfarrer verdammen und mit dem Finger auf jene zeigen sieht, die sie als "Sünder" kategorisieren. Diese sogenannten Kleriker haben vielleicht die Fähigkeit, Bibelverse auswendig zu zitieren, aber was beweist das, wenn ihr Verhalten nicht das Herz der Höchsten Wesen widerspiegelt? Dieses Verhalten zeigt einen Geist, der stark von der traditionellen "Religion" duchdrungen ist und keinen Geist, der die transformierende Transzendenz hin zu dem Wissen von wahrer Spiritualität geschafft hat. Solange man nicht die Stufe erreicht, an der man die Beschränkungen begrifflich denkenden Bücherwissens erkennt und versteht, das soviel mehr Wissenstiefe jenseits seiner Begrenzungen liegt, dessen Geist wird immer in einem geistig unentwickelten Zustand bleiben, wo das Verhalten gleichermaßen widergespiegelt wird und vom herrschenden Ego zeugt. Die Handlungen dieses Menschentyps werden durch das Ego belastet, zum Ausdruck gebracht durch Selbstgerechtigkeit. Denn ... das Wissen transzendiert das Ego und das Ich ist plötzlich unauffindbar.


Übersetzt aus: "Eclipse" von Mary Summer Rain

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